Heinrich Ernst Rüdiger Graf Starhemberg
12. September 1683
Ein denkwürdiger Tag, oder besser der Abschluss denkwürdiger Ereignisse. Der Entsatz Wiens, Österreichs, des Abendlandes.
In unserer Zeit da eher banale Dinge das Beiwort „des Jahres”, ja sogar „des Jahrhunderts”, bekommen, einfach, weil unsere Generationen sich der Geschichte entfremdet haben und alles wichtig nehmen. Heute also erweckt ein Ereignis von europäischer Bedeutung Misstrauen in uns und beschwichtigend bemerken wir, Größe möglichst verkleinernd, auf unser Maß herabziehend: „Es wird schon nicht so arg gewesen sein. „Erratische Blöcke werden zu Schotter, Dinosaurier zu Insekten. Wir leben ja im Zeitalter der Insekten.
Fast zwanzig Jahre waren seit dem Sieg Montecuccolis bei St. Gotthard vergangen, friedliche Jahre, die den Hof in Wien eingeschläfert hatten. Einer Türkengefahr war man sich kaum bewusst, obwohl Emmerich Tokoly, das Haupt der Insurgenten in Ungarn und ewiger Unruhestifter, der ideellen und materiellen Unterstützung der Goldenen Pforte sicher sein konnte. Der Blick des Wiener Hofes richtete sich nur beunruhigt gegen den Westen, wo der junge Sonnenkönig mit zweifelhaften Ansprüchen eine Arronierung großen Maßes betrieb, die er mit „Reunion” umschrieb.
Spanien war unter den Nachkommen Philipp II. immer mehr in politische Agonie verfallen. Den französischen Ansprüchen schutzlos ausgeliefert wandte es sich Hilfe suchend an Wien. Nicht nur verwandtschaftliche Beziehungen, auf die hinzuweisen der spanische Gesandte nie versäumte, sondern auch Reichsinteressen waren der Grund dafür, dass Wien sehr einseitig nur Frankreichs Schritte jenseits des Rheins verfolgte.
Inzwischen war der, kriegerischen Abenteuern abgeneigte, Großwesir Achmed Koprold gestorben. Ihm folgte sein Schwager Kara Mustapha im Amt: ein Erfolgsmensch seiner Zeit, klug, gewandt, mutig, aber eben unbewusst mit dem Makel seiner Herkunft belastet, ein homo novus, dessen Streben es war, seinen Namen mit dem seines Staates ewig zu verbinden und dadurch zu adeln. Was dem Osmanischen Reich auf dem Gipfel seiner Macht ein Jahrhundert zuvor nicht gelungen war, wollte Kara Mustapha jetzt erzwingen: Der römische Kaiser ein Vasall der Pforte!
Die habsburgische Macht sollte geschwächt werden, ein Ziel, das den Sonnenkönig und den Großwesir zusammenführte. So die äußere politische Lage.
Die Priesterkaste des Osmanischen Reiches, die Ulemas, war gegen einen Bruch des Waffenstillstandes. Die Janitscharen Agas, eine politische Macht ohnegleichen darstellend und den Prätorianern des alten Rom vergleichbar, wollten jedoch neuen, ewigen Ruhm auf ihre Fahnen heften. Sie setzten sich mit tatkräftiger Hilfe des französischen Gesandten bei der Pforte und mit Hilfe Emmerich Tokoly gegen die Fiedenswilligen im Diwan durch.
Die Rossschweife wurden als äußeres Zeichen der Kriegserklärung an die Tore des Palastes geheftet. Der Großwesir, nun auch Serastrier und Padischah, hatte seinen lang ersehnten Krieg. Und er bot alles auf, was das Osmanische Reich zu geben imstande war. Ein Heerzug von für die damalige Zeit unvorstellbarer Größe wälzte sich gegen Wien, mitten ins Herz des römischen Reiches. 300.000 Mann türkischer Kampftruppen lagerten schon bei Belgrad, als die Abendländische Welt sich durch Absichern in Bündnissen und Verträgen zu formieren begann. Der Papst sandte in dieser ernsten Stunde nicht nur seinen Segen, sondern auch reichlich Subsidien, beides sofort. Die Polen, erbost über die ihr Land betreffenden, diplomatischen Ränke von französischer Seite, gingen ins Lager des Kaisers über und stellten ein Heer auf.
Auch die Reichsfürsten, die sich sonst, soweit es das Reichswohl betraf, eher zurückhaltend verhielten, konnten nicht umhin, mit Masse der kaiserlichen Sache beizustehen.
Es zog der September ins Land, bis das christliche Heer Tatsache geworden war und für den Großwesir eine Gefahr darzustellen anfing. Dem ranghöchsten unter den abendländischen, zum Entsatz von Wien bereiten Fürsten wurde der Oberbefehl übertragen: Johann Sobjeski, König der Polen.
Am 12. September war es soweit: vom Kahlenberg stürmten die kaiserlichen Truppen und warfen das durch die lange und vergebliche Belagerung Wiens demoralisierte, in Auflösung begriffene türkische Heer, das sich trotz allem tapfer wehrte.
Was die, nur aus wenigen tausend Mann bestehende, Besatzung Wiens vom 15. Juli bis 12. September geleistet hat, klingt unglaubwürdig. Es waren zwar drakonische Strafen für jene angeordnet, die sich dem Ernst der Stunde nicht beugen wollten; so wurden auch Todesurteile sogar an Zehnjährigen vollstreckt. Im Ganzen gesehen aber stand die Besatzung wie ein Mann, realistisch betrachtet ohne den Funken einer Chance und trotzdem voll Zuversicht und Hoffnung, zusammengeschweißt durch die überragende Persönlichkeit des Stadtkommandanten Ernst Rüdiger Graf von Starhemberg. |